Was bisher geschah: Im November-Blog bin ich auf einige Grundfragen zu meinem Format Coaching am Berg eingegangen. Heute schildere ich beispielhaft Klienten, ihre Anliegen und ein paar Methoden, die ich zu den Themen gerne einsetze. Ich schließe mit meinen eigenen TOP-5 Learnings der Coaching am Berg-Saison 2018.
Fünf „User Stories“
Der Teamleiter einer regionalen Bank möchte eine neue Perspektive als Fachexperte entwickeln und seine Leitungsfunktion abgeben. Er wandert gerne und hofft, das für ihn schwierige Thema in der Natur leichter angehen zu können. Als tatsächlicher Schwerpunkt unseres Coachings stellt sich sein Abschied von einer Führungsrolle als einzig wahrer Karriereweg heraus. Geschützte Plätze erleichtern ihm, sich selbst Gefühle wie Trauer, Wut und Scham eingestehen zu können. Der Anfang ist gemacht.
Beispiele für Methoden:
- Gerade wenn man sich noch fremd und das Anliegen heikel ist: Ich setze gerne Polaritätsfragen zum Kennenlernen und für eine erste persönliche Positionierung ein: Vom Informativen spielerisch über Persönliches zum Kern des Anliegens kommen (Material: Seil und Moderationskarten)
- Den Raum nutzen: Je nach Gefühlslage sucht sich der Klient einen Platz aus, der seiner Stimmung entspricht oder der ihn anzieht -> ein guter Ort für vertiefende Coaching-Fragen
Eine sehr leistungsorientierte Bereichsleiterin aus der Industrie will – möglichst alles an einem Tag! – auf die bisherige Karriere zurückblicken und nach einer intensiven Bestandsaufnahme gleich einen neuen beruflichen Horizont entwickeln. Sie bringe tausend Themen mit, sagt sie im Vorgespräch. Ich spiegele ihre Hast und bremse ihr Arbeitstempo bewusst herunter.
Dann schlage ich ihr vor, das Coaching gerade dafür zu nutzen, um zur Ruhe zu kommen. Wir legen letztlich vier halbtägige Wander- und Coaching-Etappen zurück, für Rückblick, Bestandsaufnahme, Szenarien sowie Ideen für gute nächste Schritte. Die anfängliche Ungeduld weicht zuerst Ratlosigkeit. Dann lässt sie sich neugierig auf das Lebensphasenmodell auf einer versteckten Waldlichtung ein.
Beispiele für Methoden:
- Wenn der Klient zahlreiche Themen und Fragen unsortiert im Kopf mitbringt, zum Sammeln, Sortieren, Priorisieren und Visualisieren das Kanban-Board einsetzen
- Das Lebensphasenmodell von C.G. Jung passt ganz wunderbar an den Strand eines Sees oder auf einen stillen Platz im Wald (Moderationskarten)
Eine Führungskraft im Gesundheitswesen hat alles genau geplant: Die letzten 10 Jahre im Job bis zur Rente sollen durchdacht und vorbereitet werden. Weil sie so zielgerichtet und effizient daher kommt, gehe ich mit ihr bewusst in eine stille Hochmoorlandschaft, in der wenig passiert. Selbst die Kühe und Schafe liegen nur herum.
Wir sitzen, es ist ein Montag im Spätsommer, auf einem Moorsteg und stecken die nackten Füße ins angenehm kühle Moor. Dies und die schöne Landschaft „verlocken“ die Klientin, wie sie es formuliert, „es sich gut gehen zu lassen“. Darf das denn sein? So kann doch nicht gearbeitet werden! Schon ist das Coaching-Gespräch über eigene Werte, die Bedürfnisse dahinter und die Sinnhaftigkeit ihres Tuns im Gang…
Beispiele für Methoden:
- Stille. Schauen, was geschieht, wenn nichts geschieht. Als Coach nicht einknicken.
- Mitten ins Moor: Die 5 Säulen der Identität (aus der Salutogenese) auslegen – Folie drunter! – und damit arbeiten. Schlicht und trotzdem immer wirkungsvoll.
Ein selbständiger IT-Experte möchte einen guten Umgang mit Konflikten entwickeln – allgemein und ganz konkret mit seinem Auftraggeber im Unternehmen. Es geht um Geld, und es geht um seine Identität als Freiberufler: „Das Thema ist so furchtbar für mich, das sprengt jeden Besprechungsraum, da muss ich raus!“. Er hatte „Coaching“ und „Wandern“ gegoogelt, da er überzeugt ist, nur in der Natur die Energie zu finden, sich mit diesem Konflikt zu beschäftigen.
Entgegen seiner Erwartungshaltung ist das Coaching-Gespräch nicht schrecklich. Wir lachen viel und er spinnt unglaublich fantasievolle Szenarien der Konflikt-„bewältigung“. Nach einer längeren, schweigenden Wanderetappe bleibt er steht und sagt, jetzt wisse er, was er tun wird.
Beispiele für Methoden:
- Bei Visualisierungsbedarf, z.B. Zielkonflikte durch verschiedene „Anspruchsgruppen“ (Kollegen, Chef, Team, Mitarbeiter, Familie, Freunde) -> Zeichenblock und Malstifte statt Flipchart und Edding nutzen
- Ein eigenes Wertequadrat mit Ästen und Materialien selbst bauen lassen – bleibt ewig in Erinnerung
Der Leiter Controlling in einem mittelständischen Industriebetrieb will gar nicht raus, von Coaching am Berg weiß er nichts. Die erste Sitzung (indoor) läuft von seiner Seite fast völlig emotionslos ab. Er will von mir wissen, wie er Macht- und Statuskämpfe mit anderen Bereichsleitern verhindern kann. Es gehe ja nie um den Menschen. Es geht ihm nur um die Sache.
Gegen Ende des ersten Coachings frage ich ihn, was er privat gerne unternimmt. Fremde Gegenden zu Fuß erkunden, das findet er super, jetzt strahlt er über beide Backen. Ich atme auf und schlage ihm eine total „exotische“ Gegend – das Gunzesrieder Tal im Allgäu– vor. Eine sehr abwechslungsreiche Natur- und Kulturlandschaft.
Zuerst zögert er, dann will er gleich einen ganzen Tag investieren. So verbringen wir drei Wochen später einen Tag im sonnigen Tal, abwechselnd Wandern und im Schatten arbeiten. Wir sind auf dem Rundweg „Alpvielfalt im Gunzesrieder Tal“ unterwegs. Ganz schön anstrengend, teilweise geht es steil hoch und runter. Mein Klient ist entzückt!
Er zeigt sich immer mehr als der Mensch, der er ist, wenn er nicht von der Sachebene verschluckt wird. Sein Anliegen wandelt sich: Er will sich gerade seinen Bereichsleiter-Kollegen gegenüber persönlicher und emotionaler zeigen und schauen, was dann passiert. Er arbeite, wie er sagt, jetzt an einer freundlichen Grundhaltung gegenüber dem „Faktor Mensch“ im Betrieb.
Beispiele für Methoden:
- Wegkreuzungen, Berge, Höhenzüge, Grenzen, Wegweiser, Schluchten, Horizont: Vorsichtig ausloten, ob der Klient damit für seine Situation etwas anfangen kann. Ihn nicht mit Bildern zutexten. Legendär ein Klient, der meinte, er denke in Excel-Tabellen, nicht in Bergmetaphern
- Seil mit 3 Kärtchen an Wäscheklammern zwischen 2 Bäumen als „Retrospektive“ zwischendurch nutzen
„User Experience“: Erkenntnisse aus 2018
1. Dieser Sommer war sehr heiß. Dies bedeutete, lieber Waldlichtungen als sonnenbeschienene Bänke. Ich habe heuer den Wald als besonders verlockenden Raum entdeckt. Noch nie ist mir ein Coaching am Berg ausgefallen, weil das Wetter schlecht gewesen wäre. Aber Hitze und Sonne verlangen gute Ortskenntnis zu schattigen Pfaden, Waldlichtungen und Einkehrmöglichkeiten unterwegs. Hier bin ich gleichermaßen als Coach und Wanderführerin gefordert!
2. Die Basis für einen gelingenden Coaching-Prozess in der Natur ist Klarheit. Zum einen Klarheit im Setting und in der Organisation. Dann Klarheit im Ablauf und im Tun: Entweder wir wandern, dann unterhalten wir uns oder wir schweigen (ein Klient sang lauthals). Oder wir arbeiten, d.h. es ist Zeit für eine Coaching-Sequenz, dann wandern wir nicht, sondern sitzen – oder stehen, oder kauern – irgendwo abseits des Weges. Generell gilt: Klarheit ist wichtig, und weniger ist mehr, und zu langsam kann es gar nicht sein.
3. Faszinierend finde ich, wie ausnahmslos alle Klient/innen unkompliziert beim räumlichen Setting sind. Dafür bin ich dankbar. Sie vertrauen auf meine Professionalität als Coach und Wanderführerin:
Ob ein kurzfristig gesperrter Weg (ich sage nur: Südtirol!), Ablenkung durch wilde, angriffslustige Hornissen, handgeschöpfte Buttermilch ist aus (die einzige Minikrise mit einem Klienten auf der Oberen Lüchlesalpe im Kleinwalsertal), sangeslustige Seniorengruppen aus dem Schwabenland, laute Mähmaschine im stillen Ried, der eigene Lieblingsplatz für Coaching mutiert zum hässlichen Holzabladeplatz…
Manchmal streift mich ein verschmitzter, leicht amüsierter Seitenblick der/des Klienten: Nicht weiter tragisch das Ganze, mal sehen, wie die Karin Wurth das hinkriegt oder was sie draus macht. Es gibt immer einen guten Weg. Wenn nicht, machen wir einfach was Gutes draus.
4. Du oder Sie? Das ergibt sich, oder es ergibt sich nicht, dann einfach ansprechen. Für beide muss es passen. Ich erlebe Coaching im Kontakt mit dem „du“ nicht weniger professionell, wenn sonst Rahmen, Eckdaten, Vertrag und Haltung stimmen. Meine Klienten haben ein feines Gespür dafür, was zu ihnen passt. Ich habe genügend Erfahrung, dass ein professioneller Coaching-Prozess nicht zu Wandern & Unterhalten & Einkehren mutiert.
5. Zeitlicher Umfang: Hier war ich anfangs sehr rigide – typischer Coaching-Anfänger – unterwegs. Ich wollte nur an einzelnen, möglichst ganzen Tagen mit den Klienten unterwegs sein. Inzwischen gibt es viele zeitliche Szenarien:
Mehrere ganze Tage mit je einem Tag Abstand dazwischen oder mehrere halbe Tage alle 2-3 Wochen (z.B. Allgäu), ein Tag bzw. zwei halbe, aufeinanderfolgende Tage (Kleinwalsertal), 3x ½ Tag nacheinander, Arbeit abwechselnd im Hotel und draußen in der Natur (Schwarzwald), mehrere halbe Tage innerhalb einer Woche (Südtirol Vinschgau).
Weitere gute Ecken für Coaching am Berg sind das Lechtal, die Bodenseeregion (ich mag auch das Westallgäu sehr), Vorarlberg, die Schwäbische Alb, der Ulmer Hochsträß, oder einfach 3 Stunden am Kemptener Mariaberg unterwegs sein und dort im Gras sitzen.
Werbeblock
Hier der neue Flyer Wurth_LZ_Coaching am Berg_2019
Und der Link zur Seite auf meiner Homepage -> hier
Ausblick
Im letzten Teil meines Winterblogs werfe ich einen Blick auf Gruppen, mit denen ich draußen unterwegs bin. Gruppen können Firmen oder Bereiche sein, Teams oder Gremien. Mögliche Formate sind z.B. Teamtage mit Teamentwicklung oder Klausur- und Strategietage, teils drinnen, teils draußen. Mehr dazu im Januar!