Die lange, sonnige Sommer- und Herbstsaison 2018 im Allgäu ist vorbei. Zeit, auf einige Fragen zu meinem liebsten und sehr wirksamen Format Coaching am Berg einzugehen: Wie muss man sich das konkret vorstellen? Wer bucht so etwas? Wann macht Coaching am Berg Sinn, wann nicht? Und wo? Ich nähere mich diesen Fragen indirekt, über Geschichten, Gedanken und persönlichen Erfahrungen.
Es braucht neue Räume
Interessanterweise bin ich meist mit Männern 45Plus unterwegs. Auf eine ruhige, stille Weise draußen sein und sich geschützt fühlen tut den meisten gut. Auf dem weichen Boden mitten in einer Waldlichtung sitzen und sich das Vesper teilen. Tote Waldmäuse auf die Seite schieben, und schon entsteht hier ein kleiner Arbeitsplatz. Sich mit Erde an Schuhen und Händen wieder ein wenig wie das abenteuerlustige Kind von früher fühlen. Nach und nach fallen „Vernunft“, „Sachebene“ und „Leistung“ von meinem Klienten ab. Ein Mensch steht im Wald auf einer Lichtung. So beginnt es …
Ich bin freiberuflich als Systemischer Coach und Organisationsberaterin tätig. Seit 2014 bin ich auch staatlich geprüfte Vorarlberger Wanderführerin. Das Ambiente von Coaching- und Besprechungsräumem fand ich schon immer ziemlich trist. Sinnesreduzierte Räume. Ich wollte raus. Einige meiner Klienten auch.
Die Idee, Coaching mit Bewegung in der Natur zu verbinden, geht auf meine Abschlussarbeit als Coach bei hauserconsulting im Jahr 2012 zurück. Ich war im Urlaub in Südtirol gewesen, wo es Ende April im südseitigen Vinschgau am Meraner Höhenweg erfreulich mild war. Auftritt der Smaragdeidechse. Hier wollte ich coachen!
Zu Fuß unterwegs
Coaching am Berg wurde auch von literarischen Funden beeinflusst, über die Lust am Schweifen und zu Fuß gehen. Alle bedeutsamen Dichter des 19. Jahrhunderts sind offensichtlich über die Alpen gewandert:
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“, sang schon Eichendorffs Taugenichts bei seinem Auszug ins Unbekannte vor zweihundert Jahren vor sich hin. Ein paar Jahre früher brach der sächsische Dichter Johann Gottfried Seume im tiefsten Winter mit zwei Freunden zu einer Wanderung in die Ferne auf, nach Prag, nach Wien, nach Triest ans Meer: „Ich schnallte in Grimma meinen Tornister, und wir gingen“. Sein Fazit: „Es ginge alles besser, wenn man nur mehr ginge“. Einer der ersten begeisterten Fußgänger war, ein halbes Jahrhundert vor Seume, der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau: „Nie habe ich so viel erfahren, nie war ich so sehr ich selbst wie bei den Reisen, die ich zu Fuß unternommen habe“, erklärte er.
Das Schlusswort meiner wandernden Dichter gebührt Novalis, wie immer fremd, verträumt, sperrig und auf den Punkt: „Wohin denn gehen wir? – Immer nach Hause“.
Sich in Bewegung setzen
Ein weiterer Auslöser war Gerald Hüthers Buch „Was wir sind und was wir sein könnten“. Dieser „neurobiologische Mutmacher“ sagt über unsere Vorfahren in der Steinzeit: „Körperliche Aktivität signalisiert dem Gehirn, dass viele Situationen mit potenziellem Lernbedarf auftreten können. Wer früher etwas erleben wollte, musste sich in Bewegung setzen.“
Coaching in Bewegung bedeutet deshalb, körperlich (moderat) in Bewegung zu kommen und sich auf die Sinneseindrücke der Natur einlassen. Mit der Bewegung werden positive Signale als Impulse für Veränderungen ans Gehirn geschickt: Eine unverbindliche Einladung – mach was draus!
Meine Coaching-Klienten und Klientinnen wollen tatsächlich etwas erleben, nämlich Veränderungen, die für sie sinnhaft, gestaltbar und handhabbar sind. Ihr Lernbedarf bringt sie in Bewegung. Wandern ist gesellschaftlich weit verbreitet und bietet einen niedrigschwelligen Einstieg.
Bewegung bedeutet in meinem Konzept nicht Outdoor-Action. Auch keine körperliche Höchstleistung. Diese Hochleistungs- oder Spaß-Muster aus dem beruflichen Umfeld bediene ich nicht. Was Bewegung unterstützt und den Kontrapunkt setzt, sind die körperlichen Ruhephasen zwischendurch. Erst hier wird dann in Coaching-Sequenzen konzentriert gearbeitet.
Was Coaching am Berg für mich nicht ist:
- heroischer Zugang zum Grenzbereich von Menschen
- körperliche Steilvorlage für übermotivierte Leistungsträger
- gemütlicher Spaziergang mit nettem Geplauder zu beruflichen Themen
- vom Coach verbal zugestellter, da bereits ausformulierter Bilder- und Metaphern-Raum
- ohne Struktur, ohne elementare Coaching-Haltung und Methodik, ohne Professionalität
- die Welt der Heiler und Schamanen im Allgäu. Das bin ich nicht, ich bin die Controllerin ☺
Was Coaching am Berg für mich ist:
Coaching am Berg kann zu einem Ort der Reflexion werden, an dem Lernbedarf des Klienten und Lust auf Veränderung auf ein einladendes, unterstützendes, manchmal beschleunigendes und manchmal auch verstörendes Setting stoßen. Für mich als Coach gleichermaßen Reiz und Herausforderung. Stichworte dazu:
- Einen geschützten inneren Raum in einem mehr oder weniger offenen Gelände schaffen
- Laterale Gesprächsszenarien: Nebeneinander auf dem Bänkle in der Sonne sitzen, der Klient weint leise vor sich hin. Oder wird ganz still und schaut und staunt. Oder spricht, als nüchterner Fachexperte, unvermittelt von Trauer. Von Scham. Und von Wut. Hier hält er sich selbst gut aus.
- Sich Zeit nehmen „es sich leisten, einfach zu schauen“, wie ein Klient meinte. Sinnieren. Nichtstun aushalten. Müßig sein: Wer bist du, wenn du nichts leistest? Klassische Frage für Hochleister!
- Ein anderer Klient meinte, „hier kann ich endlich meine Gedanken zu Ende gehen“
„Manche Anliegen meiner Kunden bzw. Klienten brauchen mehr Luft und Licht. Sie drängen ins Freie. Dann gehen wir in die Natur und arbeiten auf einer Bank am Wegesrand oder an stillen Orten abseits des Weges. Hier gibt es überall Raum für Einzelcoaching, Teamformate, Teamentwicklung oder Teile von Klausurtagen. Je nach Anliegen und Umgebung kann die Arbeit natürlich auch in geschützten Tagungsräumen stattfinden.
Oder, um unsere Sinne gezielt anzusprechen, beides abwechselnd.“
Und wie Coaching am Berg so ganz praktisch abläuft?
Ich schildere im 2. Teil (Blog Dezember) Ablauf und Methodik anhand einiger (anonymisierter) Geschichten. Nächsten Monat lesen Sie mehr – bleiben Sie dran…