Anfang März trennte sich der Fußball-Bundestrainer Joachim Löw von dreien seiner Nationalspieler. Großer Aufschrei in den Medien, die meisten mit dem Tenor, das „Ob“ sei zwar sportlich nachvollziehbar, weniger jedoch das Wann und vor allem das Wie. Selbst der nüchterne kicker bemängelte auf seiner Titelseite vom 07.03.19 „eine Frage des Stils“.
Die Trennungsgespräche selbst waren wohl kurz, der Termin vor dem Rückspiel der Bayern gegen Liverpool eher unglücklich. Löw hatte den drei Spielern Boateng, Hummels und Müller Termin und Inhalt vorher nicht angekündigt. Er hatte weder nach dem Abstieg aus der Nations League im November 2018 noch in der Winterpause Trennungsgespräche mit ihnen geführt. Die drei waren ziemlich überrascht.
Als Expertin für Trennungsmanagement und als Fußballfan finde ich die Art und Weise dieser jüngsten Trennungen mit ihren kurzfristigen Echos diskussionswürdig. Deshalb dieses Thema hier im März-Blog.
Trennungen und Abschiedskultur
Besonders interessant sind die „Kündigungen“, weil Löw sich hier selbst von seiner Abschiedskultur trennt. Frühere DFB-Spieler, die den Höhepunkt ihrer Schaffenskraft bereits mehr (Lukas Podolski) oder weniger (Bastian Schweinsteiger) deutlich überschritten hatten, konnten ihren Abschied selbst bestimmen. Der Bundestrainer steuerte dies durch Teilzeiteinsätze, Ersatzbank oder Nichtnominierung mit.
Klaus Hoeltzenbein, Ressortchef Sport der Süddeutschen Zeitung (SZ), stellte kurz nach der Bekanntgabe der Trennungen durch eine Pressemitteilung des DFB die Frage, „ob so ein Abschied für Boateng, Hummels und Müller würdig ist“. Auch er sieht die Notwendigkeit eines Generationswechsels, fragt sich jedoch, ob man es jetzt und genau so hätte tun müssen. Sein Fazit: „Die Fachfragen werden von den Stilfragen überlagert“. Zum Artikel
Ich schreibe über Trennungsmanagement in Organisationen. Der DFB ist eine. Die Nationalmannschaft der Männer eines ihrer Teams. Es gibt Teammitglieder, die Spieler, und einen Teamleiter namens Löw. Es gibt einen seit der WM 2018 fast völlig abgetauchten Teammanager und jetzigen Vorstand Oliver Bierhoff, aber das wäre eine weitere Kolumne. Es gibt junge, hoffnungsvolle Nachwuchsspieler, in der Sprache der Wirtschaft High Potentials. Im Trennungsmanagement sind sie ein Teil der „Zurückbleibenden“. Dazu später.
Exkurs: Trennungen und Sprache
Ein kleiner Exkurs aus meinem Buch „Trennungsmanagement in Unternehmen“ zur Bedeutung von Sprache: „Der Duden schlägt zum Begriff „Trennung“ folgende aufschlussreiche Synonyme vor:
- Abschied, Fortgang, Lebewohl, Scheiden
- Aufteilung, Teilung,
- Scheidung, Zerwürfnis,
- Unterscheidung, Absage
- Abwendung
Bedeutet Trennung demnach, ein Unternehmen wendet sich von jemanden ab? Unterscheidet eine Trennung zwischen wichtig und unwichtig, zwischen dazu gehören und nicht mehr gebraucht werden? Wer sich abwendet, verliert jemanden aus dem Blickfeld. Bedeutet Trennung im Arbeitsleben als Konsequenz, nicht mehr gesehen zu werden?
Muss eine Trennung im Unternehmen automatisch ein Zerwürfnis sein? Sind die Rollen Gut und Böse, Opfer und Täter klar aufgeteilt? Wie müsste der Fortgang beschaffen sein, der, im besten Fall verbunden mit einem Lebewohl, das Zerwürfnis vermeidet oder zumindest reduziert?“ *(Wurth, S.3)
Thomas Müller, einer der Getrennten und direkt wie immer, hat sich in einer kurzen Videobotschaft am deutlichsten der drei geäußert, zum Überraschungsmoment („perplex“) und zu seiner Gemütslage. Er stelle die sportliche Entscheidung nicht infrage, „allerdings, je länger ich darüber nachdenke, macht mich die Art und Weise, wie das Ganze abgelaufen ist, einfach sauer (…).
Und wenn dann, kurz nachdem wir von der Entscheidung des Bundestrainers erfahren, vorgefertigte Statements seitens des DFB und des DFB-Präsidenten an die Presse gegeben werden, ist das einfach aus meiner Sicht kein guter Stil und hat mit Wertschätzung eben nichts zu tun“. Zum Artikel
Trennungen und ihre Stakeholder
Was sind Stakeholder? Stakeholder sind Anspruchsgruppen von Organisationen, wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Eigentümer, Geldgeber, aber auch die Öffentlichkeit. Trennungsprozesse fordern alle heraus. Jede Anspruchsgruppe beeinflusst auch Engagement und Kultur einer Organisation. Drei Beispiele:
- Die Zurückbleibenden: Teamkollegen sollten möglichst wenig verunsichert werden bzw. bleiben. Ihre Motivation und Leistungsfähigkeit wird von der Frage „Kann es mir ähnlich ergehen?“ beeinflusst
- Junge, potenzielle Leistungsträger eines Teams spüren durch die Gestaltung und Moderation von Trennung, Abschied und Umbruch, welche Kultur und welcher Stil in Team und Organisation herrscht
- Die Kultur der Organisation selbst sollte durch ein gutes Trennungsverhalten (= klar, fair, professionell, wertschätzend und einheitlich kommuniziert) zumindest mittelfristig gestärkt und bestärkt werden
Hier die Reaktionen einiger Anspruchsgruppen in den Folgetagen:
Der Verein der Gekündigten:
Laut SZ-Artikel vom 06.03.2019 „Das irritiert uns“ fühlt sich der eigentliche Arbeitgeber der drei, FC Bayern München, schlicht „überrumpelt“. Löws Besuch auf dem Trainingsgelände war nicht angekündigt gewesen. Der FCB schreibt in einer am Folgetag veröffentlichten Erklärung, dass er „Zeitpunkt und Umstände der Bekanntgabe … für fragwürdig“ hält. Löw hatte erst kurz vor Ankunft in München aus dem Zug angerufen.
Der Teamkollege:
Joshua Kimmich ist nicht nur Teamkollege in der Nationalmannschaft, sondern auch bei Bayern München. Mit 24 Jahren ist er einer der jungen Spieler in der Nationalmannschaft, die laut Bundestrainer jetzt (mehr) Verantwortung übernehmen sollen. Kimmich ist trotz seiner Jugend aus beiden Mannschaften nicht mehr wegzudenken. Er äußerte sich als Einziger der „Young Potentials“ ein paar Tage später sehr deutlich:
„Wenn ich das aus Spielersicht bewerten muss, ist die Art und Weise natürlich nicht okay. Ich verstehe absolut, dass die Jungs enttäuscht sind. Die haben einen anderen Abgang verdient.“ Mit gerade 24 wird ihm gezeigt, wie es ihm in wenigen Jahren – Müller ist nur fünf Jahre älter – selbst ergehen könnte.
Die Medien:
Stellvertretend Philipp Selldorf, der in seiner Kolumne der SZ-Wochenendausgabe vom 9./10.03.2019 „Das Gespür des Stacheltiers“ fehlendes Timing und Gespür sowie den „Hausbesuch als Geheimoperation“ bemängelt. Die Art und Weise der Trennung empfindet er als eine „Art Behördenakt statt einer menschliche Geste“. Er wundert sich deshalb nicht über das öffentliche Feedback und zieht das Fazit: „Das war nicht elegant und nicht souverän“.
Der DFB-Präsident:
Reinhard Grindel war erst kurz vor den Trennungsgesprächen von seinem Teamleiter Löw informiert worden. Ein paar Tage später kritisierte der DFB-Präsident den Bundestrainer öffentlich: „Ich glaube, dass es klug gewesen wäre, schon am Dienstag, am Tag der Entscheidung, im Rahmen einer Pressekonferenz persönlich einerseits die Wertschätzung für die Spieler deutlich zu machen, andererseits der Öffentlichkeit zu vermitteln, warum man jetzt einen anderen Weg gehen will, so überzeugend wie er das in seiner Pressekonferenz gemacht hat“, sagte Grindel dem ZDF.
In dem Interview betonte der Verbandschef, dass mit einer anderen Kommunikationspolitik die Debatte nicht in der Schärfe geführt worden wäre. „Wenn man das gleich gemacht hätte, wären, glaube ich, sehr viele Fragen beantwortet und damit sehr viele Missverständnisse vermieden worden„, so Grindel.
Kurze Zeit später rudert der DFB-Präsident im Kicker-Interview vom 13.03.2019 teilweise zurück: Seine Aussagen zum Vorgehen selbst will Grindel ausdrücklich nicht als Kritik am Bundestrainer verstanden wissen, wie er inzwischen erklärte: „Dem widerspreche ich mit allem Nachdruck„, sagte er. Zum Artikel
Erfolgreiches Trennungsmanagement?
Am Anfang dieses Trennungsprozesses stehen drei kurze Gespräche am Faschingsdienstag in München. Keine zwei Wochen später hat sich die Art und Weise der Trennung, die Trennungskultur, eindrücklich auf unterschiedlichste Stakeholder ausgewirkt. Als ob seitens Löw (und des DFB) geplant worden wäre, einen maximalen inneren und äußeren Schaden zu erzielen. Was sehen wir nun?
Eine Top-Führungskraft,
die nach Misserfolgen ihres Teams (Vorrunden-Aus bei der WM 2018 und Abstieg aus der Nations League) offensichtlich mit dem Rücken zur Wand steht. Mehr Wand geht nicht, und ich schätze, der Anfang vom Ende hat begonnen. Nach einem Dreivierteljahr des Abtauchens bzw. Abwiegelns zeigt Löw jetzt unter Druck klassisch autoritäres Verhalten, gepaart mit persönlicher Unnahbarkeit und Härte. Der Stil und mit ihm die Kultur hat sich gewandelt. Abnehmende Reflexionsfähigkeit und mangelndes Fingerspitzengefühl treiben Joachim Löw zunehmend in die „Einer gegen alle“-Isolation. Die jungen Spieler müssen nun seinen Kopf retten.
Eine Top-Führungskraft,
die im letzten halben Jahr die Kommunikation mit und ihre Beziehung zu einigen ihrer Leistungsträgern hat schleifen lassen. Anders lassen sich die Reaktionen der Spieler („Überraschung, aus dem Nichts“) kaum erklären. Wie belastbar war vorher die Kommunikation und wie vertrauensvoll die Beziehung zwischen Vorgesetztem und Spielern? Gerade im Spitzensport bedeutet Führung, wie in der Wirtschaft auch, in erster Linie gutes Beziehungsmanagement.
Eine Organisation,
die mehr denn je sowohl ein professionelles Management (hier: von Trennungen) als auch eine systemische Sichtweise ihrer Anspruchsgruppen vermissen lässt. Der Vorgesetzte des Trennenden, der vorab erst spät informiert wird, diesen anschließend öffentlich kritisiert und, kurz darauf, genauso öffentlich diese Kritik zurücknimmt. „Das Spiel ist noch nicht aus“, Thomas Müllers mediale Schlussbotschaft lässt sich ebenso auf die Taktikspiele seines Verbandes beziehen.
Ist das eigentlich alles egal, da Sport und Leistungsprinzip und harte Männer, die nicht gleich losweinen sollten? Nein, ist es nicht.
Stacheltierkultur?
Der gute Neuanfang der Nationalmannschaft, der morgen mit dem Spiel gegen Serbien beginnen (und auch das heikle Qualifikations-Duell am 24.03. in den Niederlanden überstehen) soll, dieser Anfang setzt ein gutes Ende voraus. Kein „verabschiedet zwischen Tür und Angel“, keine „orientierungslose Stacheltierkultur“, wie Philipp Selldorf traurig in seiner Kolumne formulierte. Gute Anfänge setzen, wie gute Abschiede, eine funktionierende Kultur voraus:
„Nicht nur Erfolg schweißt Menschen zusammen. Gerade im rauen Gewässer permanenter Veränderungen ist ein Schiff auf die volle Leistungskraft und das Engagement seiner Mannschaft angewiesen. Was sich über die Unternehmenskultur mittel- und langfristig auch wirtschaftlich rechnet, ist der produktive Umgang mit der dunklen Seite von Veränderungen, mit Trennungen, Brüchen, Übergängen, Abschieden und Verlusterfahrungen. Trennungen und damit verbundene Abschiede sind emotional, manchmal unberechenbar, manchmal auch befreiend (…). Trennungen fordern im Arbeitnehmer und im Unternehmer den ganzen Menschen heraus. Sie weisen den Weg, wie eine Kultur der Beziehung und Kooperation das zukünftige Miteinander im Unternehmen menschlich und wirtschaftlich gelingen lässt. *(Wurth, S. 56/57)
Im neuesten kicker vom 18.03.2019 wird eine weitere Führungskräfte-Nachwuchshoffnung der Nationalmannschaft, der 22-jährige Julian Brandt, zitiert: „Ich glaube nicht, dass es ein endgültiger Schnitt ist. Es kann so viel passieren“, sagte der für sein Alter bemerkenswert reflektiert auftretende Offensivspieler und fügte schmunzelnd hinzu: „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Die ausgemusterten Weltmeister hätten „mit ihrer Körpersprache andere Spieler mitgerissen und den DFB über Jahre super repräsentiert.“
Das Spiel ist noch nicht aus.
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* Literatur: Karin Wurth, „Trennungsmanagement in Unternehmen. Trennungsprozesse in Führung und Personalwesen fair und transparent gestalten“. Springer, 2016.