Im letzten Teil meines Winterblogs werfe ich einen Blick auf Gruppen (Teams oder Gremien), mit denen ich (auch) draußen arbeite. Mögliche Formate: Teamtage, Teamentwicklung, Klausur- und Strategietage.
Das lateinische Wort conglomerare bedeutet zusammenballen: Vielfalt und Unterschiedlichkeit in einer kompakten Einheit. Auch Gesteine können Konglomerate sein. Der Allgäuer Nagelfluh, im Volksmund „Herrgottsbeton“, ist eine solche Gesteinsart.
Was macht das Konglomerat Nagelfluh aus? Willkürliche Verteilung – versteckte Ordnung – Stabilität – Zusammenhalt – Bindemittel – unverwechselbar. Jeder Gesteinsbrocken ist gleichzeitig fest und bröselig. Was uns als unveränderlich erscheint, bleibt über einen langen Zeithorizont in Bewegung.
Conglomerare bedeutet auch zusammenrollen, zusammenhäufen, zusammendrängen. Das führt uns zu einer Standardsituation im Rugby, dem Angeordneten Gedränge, kurz Scrum. Was haben ein ziemlich chaotisch aussehendes Gestein und eine Situation im Rugby mit Teams zu tun? Dazu später mehr ☺
Unterwegs mit Teams
Die Anfragen, die mich erreichen, spiegeln die ganze Bandbreite der Themen in der Arbeit mit Teams. Selten kontaktiert mich ein Team selbst. Meist kommt die Anfrage von PE, der/dem Vorgesetzten oder, bei kleinen Organisationen, vom Inhaber selbst:
- Einfach schöne Teamtage!
- Irgendwas mit diesem Team machen
- Das Team soll auch draußen Leistung und Zusammenhalt zeigen
- Dieses Teams ist völlig erschöpft, was machen wir da?
- Ja schon auch als Belohnung gedacht
- Das Team soll mal in sich gehen und den Ernst der Lage begreifen
- Achtung, diesem Team wird schnell langweilig
- Teamcoaching im Alpenraum, auch Action dabei, aber schon tiefgehend
- Teamentwicklung, möglichst ohne die Teamleitung, sonst sagt keiner was
Ein paar – subjektiv empfundene – Tendenzen aus den diversen Anliegen:
1. Teams in Konflikt (mit ihrer Leitung)
Die Idee: Das Team soll 1-2 Tage ohne Teamleitung verbringen und mal richtig streiten bzw. sich aussprechen. Ich soll dies moderieren und danach, so der Hintergedanke, PE und Teamleitung informieren, was im Team falsch läuft, wer nicht reinpasst oder ähnlich.
So arbeite ich aber nicht. Entweder Teamtage mit der Leitung und vorab Auftragsklärung mit dem Team (schwierig durchzubekommen), oder ich biete Einzelcoaching für die Teamleitung an.
2. Teamtage „mit allem drin“
Oft ein Wunsch des Firmeninhabers in kleinen Unternehmen. Wichtig auch hier eine gute Auftragsklärung – wollt ihr wirklich Teamcoaching, oder meint ihr damit einfach gemeinsames Wandern mit ein paar Coaching-Tools? Sind die Teamtage eigentlich eine verkappte Schulung (Umgang mit Konflikten…)? Wollt ihr euch einfach auf einer anderen Ebene begegnen und Zeit für einander haben? Hier ein schönes, gelungenes Beispiel, nach sehr viel Auftragsklärung im Vorfeld:
Ein langer, gemächlicher Teamtag mit 16 Personen: Wandern, Spaß am Zusammensein haben, an kleinen Arbeitsstationen abseits des Weges nachdenken und manchmal übereinander staunen. Mit einem leckeren Mittagessen, nachmittags ein bissle Action und zuletzt mit konzentriertem Nachdenken über und dem „Aushandeln“ von Werten. Anstrengend, da den ganzen Tag draußen in der Herbstsonne, aber leichtfüßig daher kommend. Sinnvoll und unbeschwert!
3. Ein Gremium, das zum Team werden soll
Eine feine Aufgabe, die sich oft hinter einer vermeintlich inhaltlichen Zielsetzung wie Klausur- oder Strategietage versteckt. Eigentlich: Verkappte Führungskräfte-Entwicklung für langjährige Führungskräfte. Manchmal erst einmal vorsichtig mit Trauerarbeit beginnen. Rückschau. Emotionen und dabei sich selbst zeigen können, ohne die sonstige Top-Executive-Selbstdarstellung. Dazu ein Beispiel:
Ein Gremium, das „nebenher“ zu einem Team zusammenwachsen soll. Teils drinnen, teils draußen arbeiten. Abends eine kleine Wanderung ohne Leistungsschau (jede/r kann mithalten). Beste Lerneffekte: Mit der Kaffeetasse in der Hand dastehen und einander zuhören. Draußen mit Hilfe von Skalenfragen Polaritäten – Gemeinsames und Unterschiedliches – visualisieren. Mit Knoten im Bergseil die Historie aus unterschiedlichen Sichten „nacherzählen“ lassen. Immer wieder Raum für Schweigen, Tempo runter, raus aus dem unpersönlichen „man“, stattdessen etwas von sich selbst preisgeben. Vertrauensbildend.
Was geschieht, wenn wenig geschieht?
Dies ist derzeit mein größtes Anliegen, was Teams betrifft. Das Thema kommt auch in fast jedem Einzelcoaching an die Oberfläche: „Wer bin ich (noch), wenn ich nichts (mehr) leiste?“ „Muss ich im Job permanent begeistert sein?“ „Ich mache mir zunehmend Gedanken über Pausen und Regeneration. Über das Durchhalten.“
Einer der grundlegenden Aspekte von Scrum ist, dass die Teammitglieder das Tempo (ihrer Arbeit als Entwickler) unbegrenzt durchhalten sollen, ohne auszubrennen oder vorzeitig zu verschleißen. Erreicht werden soll dies u.a. durch ein sehr strukturiertes Vorgehen (Zyklus), durch regelmäßige Reflexion (Fortschritte und Zusammenarbeit im Team), und durch eine klare Verteilung der Rollen. Agile Werte dazu: Transparenz, Mut und Vertrauen.
Was geschieht nun in und mit Teams, wenn wenig oder nichts geschieht? Wenn in der Arbeit mit einem Team draußen auf Outdoor-/Action-Komponenten oder auch auf erlebnispädagogische Maßnahmen weitgehend verzichtet wird? Wenn es nicht darum geht, in diesem anderen Setting genauso viel oder noch mehr Leistung wie im „normalen“ Joballtag zu bringen. Was passiert, wenn die Dauermaschine an Leistung – des Einzelnen wie auch des Teams – einmal zum Stillstand kommt? Schreibt mir gerne, wenn euch dieses Thema auch zunehmend beschäftigt, an coaching@karinwurth.de
Kurt Lewin und sein 3-Phasen-Modell
Kurt Lewin formulierte vor 70 Jahren ein 3-Phasen-Modell für Veränderungsprozesse in Gruppen und Organisationen. Ursprünglich untersuchte er damit die Frage, wie die Kultur in Deutschland nach Kriegsende in Richtung Demokratie verändert werden könnte. Die drei Phasen sind:
- Auftauen (Unfreezing)
- Bewegen (Changing)
- Einfrieren (Refreezing)
Zum Weiterlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/3-Phasen-Modell_von_Lewin
Ein Schwenk zurück zum Nagelfluh. Dieser hat Lewins Phasen sozusagen verinnerlicht:
- Auftauen -> magmatische Entstehung -> Lava erstarrt zu Gestein
- Bewegen -> sedimentäre Ablagerung -> Gestein wird bewegt, abgetragen und verkleinert
- Einfrieren -> metamorphe Verwandlung -> Gestein wird zu einer neue Gestalt verändert
Auch Teams sind für mich Konglomerate:
Ein zusammengeballtes Etwas, ein Gedränge, das sich immer wieder verändert. Menschen, die sich, ähnlich dem Angeordneten Gedränge („Scrum“) beim Rugby, immer wieder strukturiert zusammenfinden und dann wieder ausschwärmen.
Teamtage, Teamentwicklung und Klausurtage draußen können viel mehr, als den Leistungsanspruch in ein – unterhaltsameres und anders geartetes – Setting zu transferieren. Die Verbindung mit der Natur lädt ein, wirklich über Verbindung, Bindungen und Bindungskräfte nachzusinnen: Welche Form haben wir als Team, wie ist unser Kitt beschaffen? In welcher Struktur kommen wir eng zusammen und schwärmen wieder aus? Besteht unser Team nur aus lauter unterschiedlichen Kieselsteinen, oder wandeln wir uns gemeinsam immer wieder zu einer Gestalt, einem Konglomerat, das gleichzeitig für Ordnung und Bewegung steht?
————————————————————————————————————————————–
Hier noch der Link zu meinen Angeboten: https://karinwurth.de/coaching-am-berg/