Im letzten Blog habe ich die Business Model Canvas vorgestellt: Mit ihr kann man Geschäftsmodelle darstellen, visualisieren und weiterentwickeln. Die Canvas ist eine (fast) leere Leinwand, die in neun Segmente mit jeweils einer Schlüsselfrage und –perspektive eingeteilt wird. Die Canvas verwende ich zunehmend auch in der Teamentwicklung, in Team-Workshops oder Teamklausuren. Oft beschäftigen sich die Teilnehmenden mit Themen wie:
- Wir arbeiten bis zum Anschlag. Warum nimmt kaum einer im Unternehmen unsere Leistung wahr?
- Wir haben weder Kunden noch Produkt. Wir sind eine Verwaltungsabteilung. Wir kosten Geld.
- Bei uns gibt es keinen guten Zusammenhalt im Team. Keinen Stolz auf unsere gemeinsame Arbeit.
Die Canvas-Arbeit mit Teams betrachtet nicht das ganze Unternehmen. Sie fokussiert den Aufgabenbereich, für den das Team (plus Teamleitung) verantwortlich ist. Das kann zum Beispiel die komplette Buchhaltung sein, das strategische Marketing, die Personalentwicklung (als Team in HR) oder das QM. Gerade interne Service-Bereiche, gerne als unproduktiv, Kostenfresser, Verwaltungsstelle oder „nicht operativ“ bezeichnet, profitieren von der Arbeit mit der Canvas. Wie, damit beschäftigt sich dieser Artikel.
Erinnerung: Die Business Canvas
Die Canvas lädt ein, sich als Team folgende (oder ähnliche) Fragen zu stellen:
- Wie sieht das Geschäftsmodell unseres Verantwortungsbereiches aus?
- Welchen Nutzen erbringen wir für welchen Kunden?
- Welchen Anteil an der betrieblichen Wertschöpfung erbringen WIR? Wer nimmt dies wahr?
- Wer und wo sind unsere Kunden, gibt es Priorisierungen, gibt es „Key Accounts“?
- Welche Kernaktivitäten führen wir durch, um Nutzen zu stiften?
- Mit welchen Schlüsselpartnern arbeiten wir zusammen? Sind sie gleichzeitig auch Kunden?
- Welche Ressourcen braucht es dafür, welche sind vorhanden, welche müssen (weiter) entwickelt werden? Welche Ressourcen verändern sich, wie steuern wir diese?
Anfangs findet das jeweilige Team Aufgabenstellung und Canvas eher befremdlich – was hat das schon mit ihnen zu tun? Es gibt doch Stellen- und Aufgabenprofile. Es gibt den Platz im Organigramm. Ein interner Dienstleister (oder ein Verwaltungsbereich, je nach eigener Sichtweise) hat doch kein Geschäftsmodell!
Canvas gemeinsam ausfüllen
Trotz anfänglicher Skepsis setzen sich die Teammitglieder rasch mit den neun Fragen auseinander und befüllen die Canvas (auf einer Stellwand) mit zahlreichen Post-Ist und Klebekärtchen. Die Definition, „was soll da bei uns rein“, überlasse ich komplett den Ausfüllenden. Einzig die Perspektiven „Kostenstruktur“ und „Einnahmequellen“ lasse ich meist weg. Die Grundfrage, welchen Nutzen stiften unsere Produkte bei welchen Kunden, führt gerade bei den „nicht operativen“ Teams zu Nachdenken, intensivem Austausch und teilweise heftigen Reaktionen: Erlebter Perspektivenwechsel und erlebte Meinungsvielfalt.
Besonders reizvoll ist die Arbeit in zwei Gruppen: Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo andere Ergebnisse oder andere Sichtweisen? Die beiden Canvas werden gemeinsam besprochen. Unterschiedliche Sichten und Schwerpunkte werden markiert – möglicherweise sind dies Themen zum Besprechen mit der Teamleitung.
Irgendwann kommt auch der Erste an und sagt, schön und gut, aber wie wird es in Zukunft sein? Dann frage ich, wie wollt ihr es haben, was stellt ihr euch vor, was bewegt sich in eurem Unternehmen, was bleibt?
Die Teams sind oft erstaunt, wie komplex ihre erbrachten Leistungen sind. Wie viele unterschiedliche interne und externe Kunden sie haben. Welche Bedeutung gerade ihre Arbeit im „unproduktiven“ Bereich für die unternehmerische Wertschöpfung besitzt. Ich finde es beeindruckend, wie hingebungsvoll viele Teammitglieder gerade ihren Schlüsselpartnern und-kunden einen Platz auf der Canvas geben.
Faktor Digitalisierung
Mit der Digitalisierung, verstärkt durch agile, stärker selbstorganisierte Arbeitsweisen im Team, verändert sich auch die Sicht auf Nutzen und Wertschöpfungsanteil des Teams. Die Kanäle der Kommunikation verschieben sich, Kundenlösungen und -nutzen sollen schneller und direkter erbracht werden: Weg von einer Sicht der Verwaltung, hin zu einem expliziten Servicecharakter der Teams. Dadurch verändert sich die für meine Arbeit zentrale Frage, welche Ressourcen es dafür braucht.
Ressourcen sind nicht auf Technik, Finanzen oder Organisation beschränkt. An viele Ressourcen denken die Teammitglieder erst nach mehrmaligem Nachfragen von mir: Veränderungsfähigkeit und –bereitschaft. Agile Werte wie Mut, Offenheit, Vertrauen. Systematisch Wissen im Team austauschen und teilen. Lust auf Dazulernen. Die Qualität der Zusammenarbeit. Unterschiedliche Kompetenzen und Erfahrungswerte verschiedener Altersgruppen. Ein gutes Handling der wichtigsten Schnittstellen. Und so weiter…
Wie kann man nun als Coach, Moderator/in oder Organisationsentwickler/in nach diesem Auftakt mit der Canvas weiterarbeiten? Hier drei Beispiele:
Fokus Ressourcen: Welche Ressourcen brauchen wir, was haben wir, wo sind Engpässe, wer oder was sollte sich weiter entwickeln? Wie steuern wir Aufgaben- und Wissensverteilung? Welche Engpässe sind abzusehen, welche bereichsübergreifenden Ressourcen könnte es geben? Hier kann zum Beispiel mit Kompetenzprofilen das Thema Lernen und Entwicklung vorangetrieben werden, jeweils als individuelle Sicht und als Teamsicht.
Fokus Wertbeitrag: Wie ändern sich Aktivitäten und deren Priorisierung, wenn der Wertbeitrag im Controlling nicht (mehr) darin besteht „Controllingberichte Ist und Soll“ abzugeben (=Berichtslandschaft)? Stattdessen stellt sich das Controlling-Team die Frage: Was braucht eigentlich die Unternehmensleitung von uns, um unsere Firma besser steuern zu können? Wie verschieben sich in der VUCA*-Welt Planungshorizonte? Können unsere Informationen aus dem Controlling dazu einen angemessenen Beitrag leisten? Welche Aktivitäten setzt dies voraus? Was brauchen wir dafür? Wer sind unsere Schlüsselpartner hierfür?
Fokus Kundenbeziehungen Gerade „Verwaltungs“-Bereiche von Mittelständlern oder inhabergeführten Firmen haben viele interne und externe Kunden mit unterschiedlichen Prioritätslevels. Diese sind abhängig von der Nähe zur Macht, vom historischen Einfluss, der Bedeutung von Finanzierung (Inhaber, Banken) und, oft übersehen, von persönlich erkämpften Einflussbereichen. Beispiel: Der Vertriebsleiter bekommt immer seine eigenen Spezialberichte, da er dies im Machtkampf mit dem Leiter Controlling vor Jahren durchgesetzt hatte.
Teams arbeiten deshalb nicht selten so, dass ihre Arbeit mehr oder weniger oft von kurzfristig „hineingrätschenden“ Stakeholdern mit Macht und Einfluss unterbrochen wird: Vorgesetzter, oberste fachliche Leitung, Inhaber und Inhaber-Machtzirkel, Steuerberater und Banken oder mächtige „operative“ Bereich wie Vertrieb oder Produktion. Hier muss das Team permanent abwägen und justieren, wer aus welchen Gründen als erster bedient wird. Wer wie wichtig ist. Diese Kultur ist das Gegenteil von agil.
Selbstverständnis als Team
Den eigenen Fokus als Team zu behalten wird erschwert, wenn der Vorgesetzte seine Rolle nicht darin sieht, dem Team den Rücken freizuhalten, damit dieses an Kundennutzen und Wertschöpfung arbeiten kann. Schon sind wir beim Thema Unternehmenskultur – Hierarchie – Macht. Gerade die Perspektive „Kundenbeziehungen“ bringt genug Sprengkraft mit, Teams ins Gespräch über sehr grundlegende Kulturfragen zu bringen: Wer sind wirklich unsere Kunden, für wen sind unsere Aktivitäten gedacht?
Das Geschäftsmodell des eigenen Teams zu visualisieren und zu besprechen ist nicht nur nützlich: Vor der bunt gescheckten Leinwand fällt manchen Teammitgliedern zum ersten Mal auf, was sie alles leisten und worin ihr Beitrag an der betrieblichen Wertschöpfung besteht. Die Business Canvas ist deshalb nicht nur ein unkompliziertes Werkzeug, einen strukturierten Blick auf Kunden, Nutzen, Aktivitäten, Ressourcen eines Teams zu werfen. Die Canvas unterstützt auch das Selbstverständnis eines Teams nach innen und außen.
* VUCA = Abkürzung von dt. Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit