Wie arbeiten wir zukünftig miteinander? Wie gehen wir mit den Veränderungen des digitalen Wandels um? Was brauchen wir dafür? Im heutigen Blog stelle ich das SCARF-Modell von David Rock vor: Soziale Erfahrungen als Erfolgsfaktoren für eine gelingende Zusammenarbeit im Unternehmen.
Erfolgreiche Digitalisierung wird mit einer veränderten Kultur im Unternehmen einhergehen. Echte Transformation beschränkt sich nicht auf den technischen Wandel. Sie erfordert ein Weiterdenken in Management und Führung. Der Mensch soll der zentrale Faktor in einer digitalisierten Arbeitswelt bleiben. Wie gelingt zukünftig Zusammenarbeit – jenseits von Silodenken und von hierarchischen Strukturen?
Teamarbeit in einem komplexen Umfeld wird selbstorganisiert(er) und näher an den Kundenbedürfnissen sein – „agiler“. Teamleitung und Führungskraft wirken dabei als Unterstützer und Lernbegleiter. Wo Selbstorganisation und dezentrale Entscheidungsfindung gelingen sollen, braucht es eine auf Vertrauen basierende Haltung: Vertrauen als „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität„, wie der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann definiert.
Das SCARF-Modell
2011 erschien das Buch „Brain at Work“ des amerikanischen Unternehmensberaters David Rock. Es befasst sich mit der Übertragung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse auf den Unternehmensalltag. Rock benannte fünf Gebiete sozialer Erfahrungen, die das menschliche Gehirn für überlebenswichtig hält. SCARF setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe zusammen:
- Status (status)
- Sicherheit (certainty)
- Autonomie (autonomy)
- Verbundenheit (relatedness)
- Fairness (fairness)
Wie werden diese Erfahrungen zu Erfolgsfaktoren für eine gelingende Zusammenarbeit?
1. Der Erfolgsfaktor Status
beschreibt, wie man seine Wichtigkeit im Vergleich zu anderen erlebt. Status in sich wandelnden Organisationen wird neu ausgehandelt, ebenso der Status in veränderlichen Teams. Viele Mitarbeiter haben sich in der Vergangenheit Status und Besitzstand und damit Sicherheit und Zugehörigkeit erarbeitet. Besonders Wissen wie Expertenwissen und Erfahrungswissen wirkt statuserhöhend. Unternehmen im Wandel verändern diesen Status quo zunächst ins Ungewisse. Ein „Gegenwert“, quasi die persönliche Rendite, ist anfangs noch nicht absehbar.
Wie kann Status als soziale Erfahrung zukünftig aussehen? Status wird sich seltener physisch (Eckbüro, eigener Parkplatz, Visitenkarte, Chaos auf dem Schreibtisch), sondern öfter als besondere Kompetenz zeigen. Status könnte durch eine Teilhabe an Entscheidungen erwachsen oder durch neue attraktive Rollen, z.B. als „Senior Expert“ im Betrieb, als Vernetzer, Problemlöser oder Mentor von jüngeren Mitarbeitern.
2. Der Erfolgsfaktor Sicherheit
hängt davon ab, ob die eigenen Erwartungen an die unmittelbare Zukunft erfüllt werden. Im Umfeld der Digitalisierung herrscht jedoch Unsicherheit über die Zukunft. Wenn Unternehmen Sicherheit vermitteln wollen, können folgende Fragen hilfreich sein: Wie erleben unsere Mitarbeiter Zugehörigkeit, die nicht an physische Anwesenheit gebunden ist? Welche Formen unserer Kommunikation unterstützen das Bedürfnis nach Stabilität? Wie werden diese organisiert? Wo sind Räume oder Kanäle zur Zusammenarbeit nutzbar?
Rainer Wunderlich ist Professor an der Hochschule Pforzheim und forscht zum kollaborativen Miteinander. Er plädiert dafür, gemeinsam verbindliche Grundverhaltensregeln festzulegen, die dem – physischen wie virtuellen – Miteinander einen Rahmen geben. Es lohnt sich, geplante Veränderungen vorab auf Einfluss und Folgen für das Bedürfnis nach Sicherheit zu prüfen.
3. Der Erfolgsfaktor Autonomie
bedeutet, selbstbestimmt handeln zu können und seine Arbeit als wirksam zu erleben. Bei Veränderungen oder in Übergangssituationen kann der Rahmen für Autonomie beeinträchtigt werden.
Arbeit in selbstorganisierten Netzwerken mit dezentraler Entscheidungsfindung unterstützt das Bedürfnis nach Autonomie. Die Selbstverantwortung des Einzelnen steigt, und mit ihr das Gefühl der Wirksamkeit. Voraussetzung ist ein Führungsverständnis, das diese Qualität von Zusammenarbeit unterstützt. Hierarchische Machtdemonstrationen sind Gift dafür. Autonomie wird nur dann zum Erfolgsfaktor, wenn Führung danach ausgerichtet ist, Menschen den Rücken frei zu halten, damit sie ihre Arbeit gut machen können.
Viele Mitarbeiter bewegen sich zukünftig in mehreren Teams oder Projekten gleichzeitig. Ihre Rollen und Funktionen können dabei unterschiedlich sein, ob als Teammitglied, in der Projektleitung, als Fachexperte oder als externer Umsetzer von Arbeitspaketen. Führung bedeutet, Mitarbeiter in ihren jeweiligen Rollen zu begleiten.
Auch die indirekte Führung verteilter Teams und die Führung via Mobilgeräte und Social Media gewinnt an Bedeutung. Sie kann das Bedürfnis nach Autonomie unterstützen.
4. Der Erfolgsfaktor Verbundenheit
beschreibt die Zugehörigkeit zu den Menschen, deren Werten und Kultur, mit denen man sich im (Unternehmens-)System befindet. Ganz wichtig ist die direkte Verbundenheit in dem Team, in dem man arbeitet.
Zukünftig werden mehr und mehr Aufgaben und Entscheidungen in Netzwerken organisiert und durch Teams ausgeführt werden. Viele Beschäftigte gehören dann mehreren Teams an, manchmal kurzfristig, manchmal auf Dauer. Teams werden unternehmensübergreifend mit Kunden- oder Lieferantenmitarbeitern oder mit externen Experten im Netz angereichert werden.
Das Umfeld wird mehrdeutiger, indem Teamformen und -rollen immer wieder wechseln. Es gibt virtuelle und physische Teams, Kurzzeitteams, hierarchieübergreifende Teams, unternehmensübergreifende Teams, interkulturelle Teams, agile Teams, selbstorganisierte Teams…
Ein Erfolgsfaktor für Verbundenheit ist deshalb die Teamfähigkeit aller Beteiligten, die viel weiter gefasst wird als bisher. Wer mit Teamkollegen und Netzwerkpartnern eine Verbindung und damit eine belastbare Arbeitsbeziehung aufbauen will, braucht neben sozialer Kompetenz auch Wissen darüber, wie Zusammenarbeit gut funktioniert.
5. Der Erfolgsfaktor Fairness
bezieht sich auf die Wahrnehmung von gerechten Beziehungen zwischen Menschen. Zusammenarbeit ist dann ein Erfolgsfaktor, wenn der persönliche Nutzen als fair und gerecht im Vergleich mit anderen wahrgenommen wird.
Die zentrale Frage von Menschen in Veränderungsprozessen lautet: „Was bedeutet die Veränderung für mich persönlich?“. Diese Sinnfrage fordert Führung und Management besonders heraus. Gerade die Generation der Babyboomer muss aktiv in Veränderungsprozesse und damit in die Digitalisierung mitgenommen werden. Wenn der mühsam erkämpfte Einflussbereich bedroht wird, ohne dass glaubwürdig vermittelt werden kann, wie der subjektive Zugewinn aussieht, überwiegen Ängste, Widerstand und Ablehnung.
Fairness setzt Transparenz und einen gerechten Umgang mit den Beschäftigten voraus. Besonders wichtig ist die Frage, ob Angebote zum Lernen und zu weiteren Qualifizierung im Vergleich zu den Kollegen als fair empfunden werden. Die Nutzung technischer Programme zur Zusammenarbeit kann ein weiterer Erfolgsfaktor sein. Fairness bedeutet in diesem Zusammenhang: Alle – auch die Werker in der Produktion – haben Zugang zum Tool, werden dafür qualifiziert und können es ohne Nachteile nutzen.
Literatur: David Rock: Brain at Work. Campus, Frankfurt 2011.